Benefit für beide Seiten

Stefan Kredel ist Chef-Scout bei Silversea Cruises. Wie wird man das? Welche Aufgaben muss man erfüllen? Und wie verleiht man der Begegnung mit dem Fremden einen tieferen, nachhaltigen Sinn?

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Foto:

Richard Sidey

Herr Kredel, Sie haben mit dem Fahrrad Reisen durch Indien und Nepal gemacht, haben Neuseeland, Südamerika, Südafrika bereist. Wann brach Ihre Reiselust aus?

In meiner Jugend. Ich stamme aus dem oberbayerischen Murnau, und da das Fahrrad für mich ein alltägliches Fortbewegungsmittel war, machte ich damit auch die ersten Reisen. Erst in der näheren Umgebung, ab nach Schule und Zivildienstzeit wollte ich dann richtig weit weg – nach Nepal. Ich flog nach Indien, schraubte dort mein Fahrrad zusammen und radelte nach Katmandu.

Nach Südafrika ging es dann während Ihres Studiums der Geologie und Paläontologie?

Genau. Das Gute am Geologie-Studium ist ja diese Mischung aus Feldarbeit und wissenschaftlicher Grundlagenforschung – für mich eine perfekte Symbiose.

Wie sind Sie dann zur Kreuzfahrt gekommen?

Eher durch Zufall. Ich hatte einen wohlhabenden Onkel, der lud seine Neffen und Nichten gerne zu Reisen ein. Als ich an der Reihe war, durfte ich das Ziel selber wählen: die Antarktis. Leider kam es dann nie zu dieser Fahrt, weil mein Onkel vorher verstarb. Ich war aber irgendwie angefixt. Als ich dann von einem Dozenten  mitbekam, dass er hin und wieder bei Reedereien als Lektor arbeitete, dachte ich mir: Das kann ich auch. Ich bewarb mich – und wenig später klappte es.

Heute sind Sie festangestellter Chef-Scout bei Silversea Cruises. Wie kam es dazu?

Ich habe als freiberuflicher Lektor bei diversen Reedereien gearbeitet, auch bei der noch jungen Reederei Silversea Cruises, die ja erst ab 2008 Expeditionsschiffe in ihre Flotte aufnahm. Als sie dieses Segment dann ausbaute, stellte sie alle Lektoren fest an.

… und ist damit eine der wenigen Reedereien, die das macht.

Richtig. Und die Besonderheit ist: Alle Expeditionsleute, die im Büro an der Entwicklung der Reisen arbeiten, sind auch immer wieder in der Praxis unterwegs. Diese Doppelrolle ist anstrengend, aber von großem Vorteil: Wir sind ganz nah an dem Produkt.

Was ist Ihre Aufgabe als „Director Expediton Shore Programs“?

Ich bin zuständig für die Landausflüge der Expeditionsschiffe in den Nicht-Polargebieten. Dazu gehört auch, dass ich die lokalen Tour Agents aussuche, mit denen wir vor Ort unsere Ausflüge umsetzen.

Sehen Sie Ihren Job an Bord mehr als Infotainer oder als Pädagoge?


Vielleicht von beidem ein bisschen.
 Bei Silversea bucht der Gast eine Expedition ausschließlich wegen der Destination. Wer in die Antarktis fährt, macht das nicht willkürlich. Bei diesen exklusiven Zielen sind die Reisen in allen ihren Facetten ausgearbeitet. Silversea möchte die Erwartungen, die der häufig schon gut informierte Gast mitbringt, erfüllen. Deshalb werden die Lektoren nach bestimmten Kriterien ausgesucht. Sie sollen den Gast vor jedem Landgang am Abend gut vorbereiten, für das jeweilige Thema sensibilisieren und neugierig machen. Und nach den Landgängen gibt es Rekapitulations-Treffen, um das Erlebte noch einmal zu beleuchten, darüber zu reden und es zu hinterfragen. Der Gast hat die Möglichkeit, bestmögliche Informationen zu bekommen und sich selbst einzubringen. Davon profitiert er wirklich sehr.

Wie viele Lektoren fahren denn pro
 Schiff mit?


Um die elf. Das sind – je nach Reise – Botaniker, Klimaforscher, Ornithologen. Aber auch Staff-Assistenten.

Nach welchen Kriterien geht Silversea bei der Ausarbeitung von Expeditionen vor?


Die Planung beginnt gute zwei Jahre vorher. Wir hatten neulich schon mal ein Brainstorming für 2020. Das läuft dann ungefähr so: Wir haben eine Weltkarte vor uns und jeder sagt aus dem Bauch heraus, welches Gebiet ihn interessiert. Nennen Sie mal einen Ort!

Sibirien oder Nordost-Passage…

Okay. Also, immer erst mal die klimatischen Bedingungen checken: Sibirien hat in vielen Landesteilen Permafrost und der Ozean ist die meiste Zeit des Jahres zugefroren. Infrage kommt also nur ein kurzes Zeitfenster im nordischen Sommer. Zudem sind Teile der Route militärisches Gebiet von Russland. Das heißt, man benötigt zig behördliche Genehmigungen, im Zweifel warten Sie darauf Jahre. Eine weitere Frage ist außerdem immer: Wie kommt ein Schiff hin und wieder weg? Es gibt abgelegene Ziele, die interessant sind, sich aber nicht lohnen. Das Schiff fährt ja eine ganzjährige Route, auf der die Destinationen miteinander zu kombinieren und als Reise zu verkaufen sein müssen. Und die Jahreszeit muss passen: Nach Indien fahren Sie nicht während des Monsuns, nach Japan nicht während der Taifun-Saison. Und manchmal müssen wir aus aktuellem Anlass umrouten, wie vor Jahren vor Westafrika wegen Ebola.

Gibt es Regionen, die gar nicht in Frage kommen?

Nigeria. Dort ist es momentan einfach zu unsicher. Oder das obere Gebiet der ostafrikanischen Küste, bis rauf nach Dschibuti. Wegen der Piraterie zu gefährlich.

Empfinden Sie es manchmal als ein Problem, dass Expeditions-Kreuzfahrten Touristen ermöglichen, in die entlegensten Winkel der Erde vorzudringen?

Überhaupt nicht. Das Reisen findet heute eh statt. Fast alle Regionen sind inzwischen durch Internet und TV verbunden, was häufig viel gravierendere Probleme für Gesellschaften nach sich zieht. Silversea verkauft auch keinen Massentourismus wie in der Karibik. Auf Expeditionen sind wir eine kleine Gruppe von rund 100 Passagieren. Wir legen viel Wert darauf, dass an Orten nicht herumgerannt wird wie im Zoo und hemmungslos drauflos fotografiert wird. Meist findet wirklich ein Austausch statt. Wir merken es oft daran, dass wir in vielen Orten mit einer Riesenfreude empfangen werden, wenn wir nach längerer Zeit wiederkehren.

Wo zum Beispiel?

In Papua Neuguinea, für mich eines der Highlights. Die Inseln sind dort wirklich noch intakt und authentisch, so abgedroschen das klingen mag. Man wird dort nicht auf Pickups zu irgendwelchen Hula-Hula-Tänzen gefahren. Viele Insulaner kommen aus anderen Dörfern, wenn sie erfahren, dass ein Schiff kommt. Die reisen mit Kanus an, manchmal einen Tag lang, und machen ein Festival daraus. Wir sind lediglich die Gäste.

Wie sieht es bei Antarktisreisen aus, wenn die Fahrt durch die Drake Passage mal richtig haarig wird, es nur stürmt und regnet, allen Gästen tagelang übel ist?

Alles halb so wild. Natürlich kann es dort sehr ungemütlich werden, aber sobald man in den Gewässern der Antarktis ist, ist man geschützt. Außerdem sind die Vorhersagen sehr viel besser geworden. Droht ein Unwetter, kann man auch mal um einen Tag verschieben.

Was ist das Faszinierende an der Antarktis?


Erst mal ist es dort fast noch am einfachsten, die Erwartung der Gäste zu erfüllen. Die meisten wollen Pinguine und Eis – beides gibt es zuhauf. Und die Reinheit, das Pure, das ist wirklich einmalig. Man dreht sich um 360 Grad und sieht: kein Hotel, kein Müll, kein Dreck – nur Weiß. Die zirkumpolare Strömung sorgt dafür, dass hier nie Müll landet. Das ist leider bei Spitzbergen in Norwegen aufgrund der Strömung anders.

Silversea Cruises hat eine eigene Wohltätigkeitsorganisation gegründet, kooperiert mit Stiftungen, unterstützt gemeinnützige Projekte. Diese soziale Verantwortung drückt sich auch in den „Good Citizen Tours“ aus. Was hat es damit auf sich?

Wir haben bei unseren außergewöhnlichen Zielen gemerkt: Es muss für beide Seiten einen Benefit geben, für die Gäste und für die lokale Bevölkerung. Die Gäste bringen tatsächlich häufig Dinge mit, von denen sie wissen, dass sie an vielen Orten im täglichen Leben fehlen. Ein schöner Gedanke, aber im ungünstigen Fall läuft das so ab: Das süßeste Kind der Insel erhält das Geschenk, freut sich – und bekommt es im Zweifel
 von größeren Kindern später abgenommen. Wenn immer nur einer pro fitiert, stiftet das Unfrieden. Deshalb haben wir überlegt, wie man diese Hilfe koordinieren kann.

Wie sieht das aus?

Wir bitten die Gäste am Anfang der Reise, Mitbringsel wie Spielsachen, Schreib- und Schulwaren und sanitäre Produkte bei uns abzugeben, damit wir sie sortieren und verpacken können. In der Destination identifizieren wir dann eine Respektsperson wie etwa den Dorfältesten, der die Waren entgegennehmen und aufteilen soll. Die Gäste wiederum wählen unter sich einen Repräsentanten, der die Geschenke übergibt. Wir von der Crew halten uns dabei im Hintergrund, wir koordinieren das Ganze nur.

In welchen Regionen findet das statt?

In der gesamten Südsee und an der westafrikanischen Küste. Ein schönes Beispiel war da Sierra Leone. Wir haben dort in einem Dorf ein Fußballturnier zwischen Leprakranken mit Amputationen organisiert – für viele der Gäste war das erst einmal ein Schock. Aber Sie hätten das sehen müssen. Diese Jungs haben mit einem Stolz gespielt, es war unglaublich. Und wir haben unseren Gäste ans Herz gelegt, ihre Scheu zu überwinden und dabei zu sein. Ein amerikanischer Gast, der eigentlich gar kein Interesse an Fußball hatte, war so tief bewegt, dass er später auf eigene Kosten Trikots und Fußbälle dorthin geschickt hat.

Ein Blick voraus: Sind neue Destinationen in Planung?


Eine große neue Destination ist Bangladesh, dort waren wir im Februar und März. Als sie seinerzeit in der internen Silversea-Runde vorgestellt wurde, gab es zuerst viel Skepsis. Einerseits hieß es: zu unsicher. Und man glaubte auch nicht daran, dass sich die Reise verkaufen würde. Mein Chef hat sich aber nicht beirren lassen. Das war richtig so.

Wer bucht dann so eine Reise?

Es gibt Gäste, die fahren so häufig mit uns, die kennen irgendwann alle Routen und suchen neue Destinationen. Allein würden sie niemals nach Bangladesh fahren – mit uns aber schon. Sie wissen: Silversea machen sichere und sensible Operations.

Fehlt Ihnen manchmal Ihre Heimat, das idyllische Murnau in Oberbayern?


Ich habe wirklich viel gesehen im Leben und tatsächlich gehört diese Gegend dort für mich mit zu den schönsten. Ich habe nun einmal immer eine große Affinität zu Berglandschaften und zum Landleben. Nun bin ich allerdings auf dem Wasser unterwegs und habe meinen Wohnsitz in Buenos Aires.

Oh, da ist wohl etwas schiefgegangen?

Nein nein, denn beides ist für mich aufregend. Der Weg im Leben verläuft ja nicht immer schnurgerade und nach Plan.

Fotos: Richard Sidey; Aliscia Young; Silversea Cruises

Freude und Gastfreundschaftt seien auf den Inseln einfach einzigartig, sagt Kredel über sein persönliches Highlight Papua Neuguinea.

Weiß, wohin das Auge reicht. Die Reinheit und das Pure sind das Faszinierende in der Antarktis.