Jeder Strohhalm zählt: Plastik und das Meer

An Stränden, in Flüssen und Meeren, im arktischen Eis und 11 Kilometer tief  im Ozean: Plastik ist überall, und wir sind schuld. Mit gezielten Programmen will auch die Kreuzfahrtbranche gegensteuern.

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Kein Mensch zählt es, kaum eine Nation misst nach. Begnügen wir uns mit informierten Schätzungen. Etwa ein LKW-Ladung pro Minute, zwischen fünf und dreizehn Millionen Tonnen pro Jahr: So viel Plastikmüll landet im Meer. Wo es hunderte Jahre weiterexistiert, sich möglicherweise in Makro- oder Mikroplastik zersetzt, im Verdauungstrakt von Fischen und später Menschen, Meeressäugern oder Vögeln landet, an Stränden angeschwemmt wird oder in einem der fünf großen Müllstrudel durch die Weltmeere treibt. Einer Studie zufolge wird – in Gewicht gemessen – schon im Jahr 2050 mehr Plastik im Ozean schwimmen als Fisch.

Plastik ist mit dem Klimawandel eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit, es ist Teil davon und ebenso hausgemacht. Dabei fing alles so verheißungsvoll an: Kunststoff bedeutete Fortschritt, Plastik war Zukunft. Ein neues Material, das so vielseitig einsetzbar war wie kaum eines zuvor. Es hat binnen weniger Jahrzehnte verändert, wie wir uns kleiden, wie wir unsere Nahrung zu uns nehmen, wie wir uns einrichten und fortbewegen. Es eroberte die Welt und alle Lebensbereiche – vom Telefongehäuse über Nylonstrümpfe bis zu Zahnseide, Autoreifen und Abflussrohr.

Segen und Fluch: Plastik

Seit den 1950er Jahren wird Plastik in größeren Mengen produziert. Etwa zwei Millionen Tonnen pro Jahr waren es seinerzeit – heute verbraucht allein Coca Cola drei Millionen Tonnen jährlich. Weltweit betrug die Kunststoffproduktion 2018 mehr als 330 Millionen Tonnen, und nächstes Jahr werden es vermutlich 400 sein. Aus dem Segen ist längst ein Fluch geworden.

Denn statt auf eine Kreislaufwirtschaft zu setzen, bei der Kunststoff so weit wie möglich recycelt wird, wurde jahrzehntelang immer weiter Plastik produziert, benutzt, entsorgt. Seit 1950 wurden global gesehen nur neun Prozent dieses gesamten weggeworfenen Kunststoffs wiederverwertet; weltweit liegt die Recyclingquote von Plastikverpackungen heute bei schmalen 14 Prozent. Zugleich werden allein durch die Herstellung und Verbrennung von Plastik weltweit jedes Jahr rund 400 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.

Ob Jangtse oder Gelber Fluss, Indus, Ganges oder Brahmaputra, Amur oder Mekong, Nil oder Niger: Geschätzt die Hälfte des Plastiks, das jährlich im Meer endet, stammt aus insgesamt zehn Flüssen, die meisten davon in Asien. Der Rest wird vom Wind ins Meer geweht – oder schlichtweg von Menschen ins Wasser entsorgt. Auf der UNO Umweltkonferenz, die im März 2019 in Nairobi stattfand, stand der Plastikmüll in den Meeren hoch auf der Agenda. Zu Ende ging die Konferenz ohne Einigung: Die Teilnehmer konnten sich nicht einmal auf die Aufnahme von Verhandlungen verständigen.

Kleine Lichtblicke – oder nur ein Kratzen an der Oberfläche?

In diesem Meer von Müll gibt es viele Versuche, etwas zu verändern: Experimente wie „The Ocean Cleanup“, das den Pazifik mit einer mechanischen Fang- und Sammelkonstruktion von Plastik befreien möchte. Mit einer Flotte von 60 Systemen könne man, so der holländische Erfinder, binnen fünf Jahren die Hälfte des großes pazifischen Müllstrudels aufsammeln. Unklar bleibt, ob dabei der laufende Nachschub mit eingerechnet ist. Es gibt Aktionen wie den jährlichen International Coastal Cleanup Day: An ihm nehmen mittlerweile über hundert Länder und zahlreiche nationale Organisationen teil und reinigen „ihre“ Strände. Das kanadische Startup Hoola One hat einen überdimensionalen Strandstaubsauger erfunden, der wirksam den Kunststoffmüll aus dem Sandstrand filtert.

Mit all diesen Maßnahmen ist das Problem dann wenigstens vorübergehend aus den Augen.

Einen anderen Weg schlägt die kanadische Plastic Bank ein: An genau jenen Orten der Welt, wo Armut und Plastikmüll gravierende Probleme darstellen, will sie beides zugleich bekämpfen. Eingesammeltes Plastik wird dabei gegen Geld- und Sachleistungen oder in blockchain-abgesicherte digitale Guthaben eingetauscht. Und schließlich setzen auch  Unternehmen auf Recycling. Outdoor-Ausstatter Patagonia gewinnt 69 % aller Materialien aus recycelten Quellen – 2025 sollen es 100 % sein. Ein Paar Parley Schuhe von Adidas entspricht 11 recycelten Plastikflaschen. Und selbst Coca Cola will bis 2030 für jede verkaufte Flasche oder Dose eine weitere recyceln. Ein Anfang.

Das von der Industrie angestoßene Projekt STOP wiederum setzt sich dafür ein, vor allem in Asien kostengünstige Abfallwirtschaftssysteme aufzubauen und auf diesem Wege wilden Plastikmüll zu vermeiden. Und eine Initiative wie The New Plastics Economy Global Commitment organisieren sich multinational. Sie vereint derzeit über 400 Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Regierungen und darüber hinaus Bürger, um das Plastikproblem an seinem Ursprung anzugehen: mit gezielten Maßnahmen und Anregungen zur Kreislaufwirtschaft und der Wiederverwendung von Verpackungen.

Gute Absichten und konsequentes Handeln

Über – oder hinter – den Bestrebungen steht häufig die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen: eine Absichtserklärung, die mit ihrem „Ziel 14“ ausdrücklich den Schutz der Meere beinhaltet. So hält es auch die internationale Seeschifffahrtsorganisation der UN, die (International Maritime Organisation). Ihr Komitee für den Schutz der Meeresumwelt hat im Jahr 2018 einen Aktionsplan zur Beseitigung von Plastikmüll von Schiffen verabschiedet. Die Maßnahmen sollen bis 2025 abgeschlossen sein und betreffen alle Schiffe – vom Fischerboot bis zum Ozeanriesen. Plastikmüll ins Meer zu entsorgen, ist aufgrund internationaler Vorschriften (MARPOL) allerdings längst verboten.

Doch abgesehen von den hochkomplexen Anlagen an Bord,  die für eine umweltschonende Lagerung und Behandlung von Müll sorgen, bis er an Land entsorgt werden kann: Es gilt, das Übel an der Wurzel zu packen. Vermeidung von Plastik lautet die Devise – auch in der Kreuzfahrtbranche.

Für TUI Cruises sind die Umweltziele der UN eine wichtige Orientierung. Das Unternehmen fährt mit seinem unternehmensweiten WASTELESS Programm seit 2018 einen ganzheitlichen Ansatz bei der Vermeidung von Plastikmüll. Lucienne Damme, Umweltmanagerin von TUI Cruises, erläutert: „Partner und Lieferanten, die Mitarbeiter an Land, die Crewmitglieder an Bord und schließlich die Gäste der Mein Schiff Flotte – alle werden in dieses Programm einbezogen. Bis Ende 2020 wollen wir Einweg- und Plastikprodukte aus dem Schiffsbetrieb so weit wie eben möglich verbannen oder durch umweltfreundliche Alternativen ersetzen, also Bio-Kunststoffe, Mehrwegsysteme, Großverpackungen, Dosier- und Nachfüllsysteme. Und verbleibende Plastikabfälle wandern selbstverständlich ins Recycling.“

Eine Umstellung von Plastik- auf Holzrührer ergibt bei TUI Cruises eine flottenweite Einsparung von ca. 1,5 Millionen Plastikrührern pro Jahr. Auch 5 Millionen Plastikspieße sind Geschichte, und 250.000 Verpackungen für die Mein Schiff® Slippers entfallen, weil sie unverpackt präsentiert werden. Spendersysteme bei Pflegeprodukten auf den Kabinen machen jährlich 380.000 kleine Plastikflaschen überflüssig. In den Bordshops werden ca. 200.000 Plastik- und Papiertüten pro Jahr, durch Mein Schiff Strandtaschen aus recyceltem PET oder wiederverwendbare gebrandete Einkaufsbeutel ersetzt. Und die Zeitung an der Kabinentür hängt nicht mehr im Kunststoffbeutel, sondern an einem wiederverwendbaren Hanfseil, Einsparung: weitere 51.100 Plastiktüten pro Jahr.

Die Zahlen, die diese Umstellung mit sich bringt, beeindrucken – um so mehr, als sich praktisch alle großen Reedereien dem Thema widmen.

Auch der deutsche Marktführer AIDA hat das Thema Vermeidung von Plastik und Einwegartikeln auf der Agenda. „Die Reduzierung und möglichst vollständige Vermeidung von Plastik ist seit vielen Jahren ein wesentlicher Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, berichtet Hansjörg Kunze, Vice President Communication & Sustainability. An Bord ist diese Entwicklung für Crew und Passagiere spürbar. Einwegbecher und -deckel sind Mehrwegbechern gewichen, Einwegplastikbesteck ist tabu. Papiertragetaschen ersetzen seit 2013 Plastiktüten, Trinkhalme oder Cocktailspieße sind aus biologisch abbaubarer Stärke bzw. aus Holz, und Mikroplastik ist bei Kosmetik- und Spaprodukten schon lange verbannt. Die Gebäckbeigabe zum Kaffee ist ebenso unverpackt wie die gereinigte Wäsche, die die Wäscherei ohne Plastikhülle ausliefert – und das sind nur einige der zahlreichen Maßnahmen, die das Leben an Bord im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig verändern.

Für AIDA ist dies ein kontinuierlicher Prozess: Der Hebel wird an zahlreichen Enden angesetzt. Hansjörg Kunze erläutert: „Wir führen kontinuierlich flottenweit Untersuchungen durch, um wo immer möglich von Einweg- und Plastikprodukten auf biologisch abbaubare Artikel oder Mehrweg umstellen zu können.“

Auch MSC ist dabei. „Bei seinem Umweltengagement hat MSC Cruises ein neues Kapitel aufgeschlagen“, berichtet Christian Hein, Geschäftsführer bei MSC Kreuzfahrten in Deutschland: „Wir haben uns verpflichtet, auf Einweg-Kunststoffe zu verzichten und, sofern möglich, nachhaltige Alternativen einzuführen.“ Seit März 2019 werden Einweg-Plastiktüten, -löffel, -gläser und weitere Artikel, für die es Alternativen gibt, durch umweltfreundliche Produkte ausgetauscht. Einzelportionen in Plastikverpackungen wie Butter, Marmelade oder auch Joghurt sind passé. Einweg-Strohhalme gibt es nicht mehr, dafür eine nachhaltige Alternative. Diese Praxis wird nicht nur an Bord der Schiffe etabliert, sondern auch an allen Inselzielen, in den MSC Büros an Land und den MSC Landausflügen. „Es ist ein langfristiger und fortlaufender Fortschritt. Sofern noch keine nachhaltigen Lösungen für bestimmte Produkte erhältlich sind, stellen wir sicher, dass sämtliche Kunststoffabfälle bestmöglich recycelt werden. Diese Prozesse werden von einer externen Expertenorganisation überprüft und zertifiziert“, erläutert Hein weiter.

Ähnlich sieht es bei Costa Cruises aus. Bei Lebensmitteln, Getränken und in der Gastronomie werden – an Bord und an Land – Einwegartikel aus Plastik durch solche aus biologisch abbaubarem, kompostierbarem „Mater-Bi“ oder Holz ersetzt. Verpackungen oder Lebensmittelbehälter werden nach Möglichkeit immer wieder verwendet. Am Büffet gibt es Joghurtspender statt Becher, in der Kabine ersetzen Seifen- und Shampoospender Einwegflaschen und -verschlüsse aus Kunststoff. Kosmetika und Spa-Produkte dürfen zudem kein Mikroplastik enthalten. In den Bordküchen kommen Geschirrspültabs statt Flüssigspülmittel zu Einsatz – Plastikumverpackung wird damit deutlich reduziert. Reiniger wird als Konzentrat verwendet – und die Wiederverwendung der Behälter spart nicht nur Kunststoff, sondern auch Transport- und Energiekosten.

Reduzieren und recyceln heißt es auch bei Hapag-Lloyd Cruises: Plastiktüten, Strohhalme und Cocktailrührer entfallen oder sind aus Holz; Plastikmüll wird separat gesammelt und an Land fachgerecht entsorgt. Die Suiten der neuen Expeditionsschiffe sind mit wiederauffüllbaren Wasserflaschen ausgestattet, die Gäste für z.B. für Landausflüge nutzen können.

An anderer Stelle achtet man ebenfalls auf Kunststoffalternativen: Die Kajaks an Bord der neuen Expeditionsschiffe bestehen aus HTP, einem besonders hochwertigen und langlebigen Polyethylen. Bei der Herstellung der Bootshüllen fällt kein Abfall an – außerdem nimmt der Produzent sie zum Recycling kostenlos zurück. Auch zeigt die Expeditionslinie eindrücklich, wie die die Beteiligung der Passagiere aussehen kann: Wenn eines der Schiffe in Spitzbergen ist, beteiligt sich Hapag-Lloyd Cruises an der Initiative „Clean up Svalbard“ und sammelt gemeinsam mit den Passagieren Müll – vor allem Plastik -, der an der an der Küste von Spitzbergen angespült wird.

Der Kampf gegen den Kunststoff ist heute ein wichtiger Teil der umfangreichen Nachhaltigkeitsbemühungen der Reedereien. Keine der Initiativen allein wird das Problem mit dem Plastik lösen, doch jeder Mosaikstein hilft. Die Maßnahmen der Reedereien zeigen, dass etwas ins Rollen gekommen ist – und dass letztlich jeder Passagier mithelfen kann, Plastik zu vermeiden: ein kleiner, guter Anfang auf den Meeren der Welt.

Entwarnung gibt es jedoch bei gründlicher Betrachtung nicht, weder für das Meer, noch fürs Land. Der jüngst erschienene Plastikatlas der Heinrich Böll Stiftung konstatiert: „Das Wissen um Mikroplastik in den Ozeanen ist weit verbreitet. Was nur wenige wissen: Die Verschmutzung von Böden und Binnengewässern ist je nach Umgebung zwischen vier- und 23-mal so hoch wie im Meer.“

Laut Umweltbundesamt benötigen Plastikflaschen 450 Jahre für ihre Zersetzung, Fischfangnetze aus Nylon – von denen jährlich ca. 25.000 in den Meeren landen – 600 Jahre.

Als die staatliche Umweltbehörde Norwegens genauer wissen wollte, aus welchen Quellen das regionale Mikroplastik im Meer stammt, legte sie den Finger in eine offene Wunde – den Individualverkehr: Mehr als die Hälfte des Mikroplastiks vor der Küste war auf den Abrieb von Autoreifen zurückzuführen.

150 Millionen Tonnen: Das ist die Menge Kunststoff, die laut Umweltschutzorganisation Ocean Conservancy und Unternehmensberatung McKinsey geschätzt in den Ozeanen schwimmt.

Das Mittelmeer hat einen Anteil von nur einem Prozent an den weltweiten Gewässern, beherbergt aber rund sieben Prozent des globalen Mikroplastiks. Wegen seiner abgeschlossenen Lage ist der Wasser- und damit Plastikaustausch mit anderen Meeren gering, Plastik sammelt sich immer weiter an.
The Ocean Cleanup: Auf der Wasseroberfläche liegt ein 600 Meter langer Schwimmer, an dem eine sich verjüngende, 3 Meter tiefe Schürze befestigt ist. Der Schwimmer sorgt für Auftrieb und verhindert, dass Kunststoff darüber fließt, die Schürze, dass Müll darunter austritt. Bislang ist es ein Experiment – das an den Ursachen allerdings nichts ändern kann.

Der Great Pacific Garbage Patch: Die 1,6 Millionen Quadratkilometer große Ansammlung aus Plastikmüll ist vier Mal so groß wie Deutschland. Sie entsteht, weil sich Plastikabfälle zu den Strömungswirbeln der Weltmeere hin bewegen. Kunststoffpartikel werden dort spiralförmig ins Zentrum des Strudels gesogen. Gleiches geschieht im südpazifischen Müllstrudel, dem Müllstrudel des Indischen Ozeans, den südatlantischen und den nordatlantischen Müllstrudel.

Immer wieder sind es Einzelne, die durch spektakuläre Aktionen auf die Verschmutzung der Meere hinweisen. Ben Lecomte durchschwamm bei „The Vortex Swim“ den transatlantischen Müllstrudel – 300 Meilen insgesamt. 2018 hatte Lecomte die Aktion wegen schlechten Wetters abbrechen müssen. https://benlecomte.com

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